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Aus der Wirtschaftswoche; NR. 35; 22.8.2002; Seite 91 - 92;

 
   

 

Frank Heinrichs ist ein optimistischer Mensch. Der wie der Bruder von Brad Pitt aussehende, smarte Juniorchef von Peter Heinrichs - Chäteau Henri in Köln, einem der umsatzstärksten Tabakwarengeschäfte Deutschlands, hat allen Grund dazu. Aktien Baisse hin, Konjunkturdelle her, für ihn ist der Aufschwung deutlich erkennbar, er rechnet mit besseren Geschäften: "Ausnahmsweise gibt es nur gute Argumente." Die lassen sich in Euro und Cent ausdrücken und laufen dem Teuro-Trend zuwider: Zigarrenrauchen wird billiger - vielleicht sogar sehr viel billiger. Gemeint sind damit keine Altmännerstumpen Marke Fehlfarben, sondern Spitzenformate aus Fidel Castros vorgeblichem Werktätigenparadies Kuba.

 
   

 

Wenig Grund zur Klage hatten die Verkäufer von Qualitätszigarren schon in den vergangenen beiden Jahrzehnten. Der gestiegene Verbrauch wurde getragen vom Trend zum bewussten Genießen und Zigarre rauchender Prominenz - selbst die Antiraucherkampagnen der europäischen Gesundheitsminister vermochten daran nur wenig zu ändern.
Sinnigerweise war der Boom in Deutschland und Europa eine Folge des Booms in den ansonsten militant raucherfeindlichen USA. Zwischen 1993 und 1997 wuchs der Umsatz dort jährlich zwischen 40 und 65 Prozent, allein von 1992 bis 1995 verdoppelte sich die Zahl der Premiumraucher auf mehr als 800000, von denen Arnold Schwarzenegger, Madonna und Sharon Stone die Celebrity-Spitze bildeten; in Deutsch land wird die Zahl der Premiumraucher auf 60000 geschätzt. Ge fragt bei diesen Connaisseurs sind vor allem so genannte Longfiller, handgerollte Zigarren mit einer Einlage aus ganzen Tabakblättern.
Weil amerikanische Raucher kubanische Produkte wegen des seit der Kuba-Krise von 1961 bestehen den Embargos bis heute offiziell nicht kaufen dürfen, wurden in den Neunzigerjahren von Jamaika bis Nicaragua und von Honduras bis nach Ecuador Zigarrenfabriken aus dem Boden gestampft. Rohtabakproduzenten aus Kamerun, Brasilien, Mexiko und im US-Bundesstaat Connecticut - für das modern und chic wirkende helle Deckblatt Connecticut Shade - verdienten kräftig mit an dem Boom.
Heute hat sich der Verbrauch in den USA ebenso wie in Deutschland auf hohem Niveau stabilisiert. Rund15 Millionen Premiumzigarren werden hier zu Lande pro Jahr verkauft, zu Preisen zwischen 3,50 und fast 40 Euro. Die immer noch deftigen Preise für Havannas sind eine Folge der stark schwankenden Qualität und des knappen Angebots an guter Ware, das auch seinen verbotenen Weg in die USA findet: Das Handelsembargo schreckt keinen amerikanischen Cigar-Aficionado da von ab, sich auf Reisen einzudecken.
Seit Anfang Juli sind die dicken Dinger in deutschen Fachgeschäften im Schnitt um rund ein Fünftel billiger geworden. Tabakwarenhändler wie Werner Sommer in München hoffen auf neue Kunden, denen der blaue Dunst aus Castros lnselreich bisher viel zu teuer war: "Das wird uns einen Schub geben."

 
   

 

Doch das ist wohl übertrieben, denn zur Aldi-fähigen Massenware werden die Havannas noch lange nicht: Die mittelgroße Montecristo 4, eines der am meisten verbreiteten Formate, kostet immer noch sieben Euro pro Stück - vorher waren es 8,60 Euro. Und für die Romeo y Julieta Churchill, verpackt in matt schimmernde Aluminiumröhrchen und laut Heinrichs "der klassische Riesenglimmstengel für alle, die reich und erfolgreich aussehen wollen", muss man nur noch 14 (statt 16) Euro hinblättern. Am größten sind die Rabatte bei den Großformaten der Marken La Gloria Cubana und Bolivar mit mehr als 40 Prozent.
Immerhin: Für passionierte Havannaraucher sind Einstiegspreise ab acht Euro fast ein echtes Schnäppchen - zumal es sich um Originalware aus den Drehereien der Zuckerrohrinsel handelt - mit Zertifikat und allem sonstigen Brimborium ausgestattet - und nicht um minderwertige Fälschungen. Außerdem sieht die Kalkulation eines Aficionados sowieso anders aus, Wer sich, wie etwa Kanzler Schröder zu seinen besseren Zeiten, pro Tag zwei Havannas der Marke Cohiba Espléndido leistet, musste dafür bisher ein Monatsbudget von 1778,40 Euro veranschlagen. Künftig spart er 242,40 Euro, genau 4,04 Euro pro Stück. Dass der blaue Dunst mit den schädlichen Nebenwirkungen auf Atmungstrakt und weiße Gardinen immer noch 1536 Euro pro Monat kostet, stört einen hemmungslosen Genießer und Dandy nicht wirklich.
Doch die Havannakonkurrenz ist ziemlich sauer. Thomas Strickrock, Verkaufsleiter von Wöhrmann Cigars, Importeur edlen Rauchwerks von den Kanarischen Inseln, ärgert sich, dass ausgerechnet die kubanischen Staatssozialisten das Regel- werk von Angebot und Nachfrage zu seinen Ungunsten in Gang gesetzt haben: "Für Cohiba-Raucher ist es doch wirklich egal, ob sie 25,60 oder knapp 30 Euro für ihre Zigarre bezahlen", klagt er, "war es wirklich nötig, so viel Bewegung in unseren winzig kleinen Markt zu bringen - wir hatten so schöne, stabile Preise." Damit ist es jetzt wohl vorbei. Strickrock befürchtet, dass andere Lieferländer dem kubanischen Beispiel folgen.
Die Gründe für die verbraucherfreundliche Geste der offiziell immer noch sozialistischen Kubaner sind ausgesprochen marktwirtschaftlich, mithin eigennützig. Zwar lobt Michael Blumendeller, Vertriebsleiter des deutschen Havanna-Monopolimporteurs 5 Avenue in Waldshut-Tiengen am Hochrhein die Aktion als "unseren Beitrag gegen den Teuro". Aber das ist natürlich nicht ernst gemeint. Tatsächlich, so Blumendeller, war die Preissenkung eine "Reaktion auf die Erfolge der Zigarrenproduzenten in der Dominikanischen Republik, in Nicaragua und in Honduras".
Und die kamen nicht von ungefähr. Die Originalware aus Kuba hat seit den Zeiten von Queen Victorias Sohn Edward Vif, des Pianisten Arthur Rubinstein, Winston Churchill und Zino Davidoff ein legendäres Image. Unschlagbar bei Geschmack und äußerem Erscheinungsbild eignet sie sich ganz besonders für jene Geste, mit der jeder noch so unerfahrene Raucher den Experten von Welt mimen kann: beim Rollen der Zigarre zwischen zwei Fingern am Ohr. Dabei muss es auf eine bestimmte Weise knistern, nicht "strohig" (zu trocken), aber erst recht nicht "ölig" (zu feucht).
Längst nicht immer knistern die Havannas richtig, immer öfter wurde in den vergangenen Jahren die versprochene Spitzenqualität verfehlt. Einzelhändler wie Sommer in München, Peter Heinrich in Köln und Eberhard Wolff in Berlin bestätigen "Qualitätsprobleme, die die Kubaner einfach nicht in den Griff kriegen". Manche Zigarren sind zu fest gerollt und ziehen selbst dann nicht, wenn der Raucher vom kräftigen Saugen schon einen rot angelaufenen Kopf bekommen hat. Andere sind zu schlapp und brennen ebenfalls schlecht.
Obendrein leiden die Zigarrenhändler unter dem sonst vor allem für die Automobilbranche typischen Problem der Grauimporte. Kistenweise kommen die vier wichtigsten Marken Cohiba, Montecristo, Romeo y Julieta und Partagas auf "unkonventionellen Vertriebswegen" nach Deutsch land, vor allem über Spanien und Andorra. Um die Einzelhändler davon abzuhalten, diese im Prinzip nicht weniger "echten" Havannas zu verkaufen, schreckt der offizielle Importeur auch vor Ekelargumenten nicht zurück: "Abgesehen von unzuverlässiger Qualität muss man immer mit Tabakkäfern rechnen' warnt Blumendeller, "wer sich so etwas einfängt, muss sein gesamtes Lager vernichten."
Das ist wohl eine sehr dramatische Schilderung. Die Händler sehen es jeden falls gelassen. Sommer beispielsweise betont, dass seine Havannas natürlich nur aus offiziellen Quellen stammten, fügt aber hin zu: "Ich habe mir sagen lassen, dass die grauen Havannas auch nicht schlechter sind als die offiziellen Importe - aber billiger." Soll heißen: Bei Grauimporten gibt es nicht mehr Reklamationen als bei den mit Brief und Siegel der 5 Avenue versehenen Kistchen. Auch der Tabakkäfer knabbert nicht nur an Billigware: Immer mal wieder findet sich eines der Tierchen in teuer erworbenen Duty-Free-Gebinden. Christoph Puszkar, Marketingmann bei 5 Avenue, will denn auch nur für sein Lager die Hand ins Feuer legen: "Wir frieren jede Kiste ein, nicht nur die Importe, sondern auch alle Retouren von den Händlern - das überlebt kein Käfer' versichert er, "aber was passiert, wenn die Ware unser Lager verlassen hat, weiß ich nicht."

 
   

 

Diese Auskunft unterscheidet sich nur um Nuancen von der der grauen Händler. Deren bestes Verkaufsargument war lange die zu geringe Verdienstspanne bei offiziellen Havannas. Und weil die Händler auch mit den mittlerweile qualitativ deutlich besser gewordenen handgerollten Zigarren aus der Dominikanischen Republik, aus Jamaika und von den Kanarischen Inseln mehr verdienen konnten, haben die Kubaner jetzt al le Verkaufshindernisse in einem Aufwasch mit erledigt: Nach der Preissenkung steigt die Spanne von 33 auf 40 Prozent, was die Havannas mit ihren Konkurrenzprodukten im Handel gleichziehen lässt.
Das relativiert auch den bisherigen Preisvorteil von außerhalb des Fachhandels erworbenem Nachschub: Deutsche Zigarrenraucher kaufen gern in der Schweiz und in Spanien - wo die Läden zwar häufig primitiver, aber die Preise deutlich niedriger sind -‚ und auch über das Internet ließen sich die von den Importeuren verordneten Vertriebswege einfach umgehen.
Wer als Sieger aus dein Zigarrenkrieg hervorgeht, ist schwer zu sagen. Der große Unsicherheitsfaktor ist Fidel Castro. Auf seinen Tod haben einige Private Equity Fonds große Summen gewettet. Sie hoffen darauf, dass nach Castro das Chaos ausbricht und bunkern große Mengen "alter" Ware, um sie teuer verkaufen zu können. Vielleicht geht die makabre Wette sogar auf.

Artikel von MICHAEL FREITAG

 
   

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